Notveräußerung von Kryptowerten: Beschluss des LG Hanau mit Signalwirkung

Hintergrund: Ermittlungen gegen Familienangehörige und Kryptobeschlagnahme

Im Zentrum des aktuellen Beschlusses des Landgerichts Hanau (Beschl. v. 15.04.2025 – 1 Qs 10/25) stand die Frage, ob Kryptowerte, die im Rahmen eines Strafverfahrens beschlagnahmt wurden, vor einer gerichtlichen Einziehungsentscheidung veräußert werden dürfen. Anlass war ein Ermittlungsverfahren gegen die Mutter eines wegen Betäubungsmitteldelikten verurteilten Mannes. Die Staatsanwaltschaft warf der Mutter vor, inkriminierte Gelder aus dem Drogengeschäft verwahrt und bei der Integration in den legalen Finanzkreislauf geholfen zu haben – ein typischer Anfangsverdacht in Geldwäscheverfahren (§ 261 StGB).

Infolge der Ermittlungen ordnete das Amtsgericht die Beschlagnahme von auf Hardware-Sticks gespeicherten Kryptowährungen an. Zur Sicherung des Wertes beantragte die Staatsanwaltschaft später die Notveräußerung gem. § 111p StPO, da erhebliche Kursverluste drohten. Der Beschuldigte selbst widersprach mehrfach aus der JVA und argumentierte, die Coins seien legal erworben und die StA hätte ihn als Eigentümer einbeziehen müssen. Die Staatsanwaltschaft wertete dies als Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Das Amtsgericht wies diesen jedoch zurück – der Beschwerdeführer legte daraufhin Beschwerde zum LG Hanau ein.

Entscheidung: Zulässige Notveräußerung wegen drohender Wertverluste

Das Landgericht Hanau bestätigte die Rechtsauffassung der Vorinstanzen: Die Notveräußerung der beschlagnahmten Kryptowährungen sei rechtmäßig und verhältnismäßig. Nach § 111p Abs. 1 und 2 StPO sei eine Notveräußerung zulässig, wenn:

  • ein Gegenstand bereits nach § 111c StPO beschlagnahmt ist,

  • und sein Verderb oder ein erheblicher Wertverlust droht.

Ein erheblicher Wertverlust sei – so das Gericht – regelmäßig ab einer Schwelle von 10 % anzunehmen. Eine solche Bewertung sei vergleichbar mit der von Aktien oder volatilen Anlagegütern. Bei Kryptowährungen – insbesondere bei den hier betroffenen Coins „XRP“ (Ripple) und „ADA“ (Cardano) – sei das Risiko plötzlicher, signifikanter Kursverluste gerichtsbekannt und offenkundig.

Die Kammer wies ausdrücklich darauf hin, dass es keines Sachverständigengutachtens bedürfe, um die Volatilität von Kryptowerten zu erkennen. Auch sei es unzumutbar, von Strafverfolgungsbehörden zu verlangen, dass diese börsenartige Marktbeobachtung leisten, um den idealen Zeitpunkt für eine spätere Verwertung zu identifizieren. Eine solche Erwartung würde zu einer systematischen Überforderung der Strafverfolgung und zu Amts­haftungsrisiken führen.

Eigentumsschutz vs. staatliche Vermögenssicherung

Das Gericht erkannte an, dass eine Notveräußerung einen Eingriff in die Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG darstellt. Es handele sich dabei um ein „Sonderopfer“, das im Spannungsverhältnis zur Funktion des Staates steht, Vermögenswerte für eine mögliche spätere Einziehung zu sichern. Dennoch sei der Eingriff verhältnismäßig, da der zu sichernde Zweck – der Werterhalt – andernfalls gefährdet wäre.

Die Argumentation des Beschuldigten, dass sich die Coins im Eigentum seiner Person befänden und legal erworben worden seien, überzeugte das Gericht nicht. Der Beschluss stellt klar, dass in der Phase der vorläufigen Sicherung nicht die Eigentumslage im Detail geklärt werden muss, sondern der Fokus auf dem Werterhalt potenziell einzuziehender Gegenstände liegt. Eine Einziehungsentscheidung im Sinne des § 73ff. StGB bleibt davon unberührt.

Strafprozessuale und praktische Relevanz

Der Beschluss hat Signalwirkung für Ermittlungs- und Einziehungsverfahren mit Kryptowährungsbezug:

  • Er bestätigt die staatliche Veräußerungsbefugnis bei drohender Wertminderung digitaler Assets auch gegen den erklärten Willen des Beschuldigten.

  • Er verankert 10 % Kursschwankung als Richtwert für „erheblichen Wertverlust“ im Sinne des § 111p StPO.

  • Er konkretisiert, dass Strafverfolgungsbehörden nicht verpflichtet sind, Marktentwicklungen laufend zu überwachen oder Dritte (z. B. Eigentümer) vorab zu konsultieren.

Fazit: Dynamik des Kryptomarkts trifft starre Rechtsmechanismen

Der Beschluss des LG Hanau unterstreicht die rechtliche Unsicherheit bei der Sicherung digitaler Vermögenswerte. Zwischen Wertschutz und Eigentumssicherung, zwischen Volatilität und Verhältnismäßigkeit klafft eine Grauzone, in der sowohl Betroffene als auch Strafverfolger sorgfältig abwägen müssen.

Für Strafverteidiger und Beschuldigte in Verfahren mit Krypto-Bezug (z. B. Geldwäsche, BtM, Steuerhinterziehung) ergibt sich daraus die Notwendigkeit, frühzeitig auf die drohende Notveräußerung zu reagieren – idealerweise mit rechtlich fundierter Argumentation zur Stabilität der betreffenden Assets. In vielen Fällen lohnt es sich, ein wirtschaftliches Sachverständigengutachten zur Prognose der Wertentwicklung beizuziehen – um eine Notveräußerung zu verhindern oder zumindest zu verzögern.


Quellenverzeichnis:

[1] LG Hanau, Beschl. v. 15.04.2025 – 1 Qs 10/25, BeckRS 2025, 12593
[2] Rathgeber, FD-StrafR 2025, 810672
[3] beck-online: https://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-FDSTRAFR-B-2025-N-810672

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